3.4 Probekapitel
1. Kindheit im Dorf
Das durchdringende Heulen der Sirene riss Fritz gerade aus dem Traum, als er so schön und weich Gitarre spielte wie Vater, und gleichzeitig drängte sich dessen scharfe Stimme ins Bewusstsein: „Aufstehen Fritz, Fliegeralarm, mach schnell!“
Schlaftrunken zog er Jacke und Mantel über den Pyjama, schnappte den am Bett lehnenden Rucksack, trippelte an der Hand der Mutter in den Keller, den Teddybären fest an sich gepresst. Vater hatte ihn als Teil der  Notausrüstung akzeptiert, kannte den Starrsinn des Jungen, wollte nicht wieder vom Luftschutzwart gerüffelt werden, als der Bub sich brüllend geweigert hatte, ohne Teddybär zu gehen. Die letzten Töne der Sirene hörten sich wie ein Röcheln an, als drehte ihr jemand die Luft ab. Hin und wieder übertönte ein gedämpftes ängstliches Rufen das Getrappel Dutzender Füße und das Schnaufen der Eilenden. Über der Stadt lastete eine Stille wie vor einem Gewitter, ehe der erste Donnerschlag Mensch und Hund zusammenzucken lässt. Der nach Staub, Kartoffeln und Kohlen riechende Keller hätte niemals einem Volltreffer standgehalten, das sagte niemand laut. Die Schutz Suchenden saßen vor den geweißten Ziegelwänden, zwischen ihnen saß die Angst, man konnte sie förmlich riechen. Unregelmäßig klopfte die Dampfheizung, ängstlich schmiegte sich Fritz an die Mutter, die Schwester hatte dem Vierjährigen eingeredet, in den Rohren wohnten Geister. Nachbarn und Besucher kauerten auf Bänken und Koffern, redeten leise miteinander oder starrten abwesend vor sich hin. Ein Fronturlauber hielt die Hand seiner Braut. Breitbeinig stand der Luftschutzwart in dunkler Uniform mit breitem Stahlhelm vor der Eisentür mit den zwei riesigen Riegeln, als wollte er verhindern, dass jemand vorzeitig den Schutzraum verließ. Er war ein mächtiger Mann, alle hatten seine Anordnungen zu befolgen, sogar Vater. Die Kleinsten lagen in grob zusammen genagelten Stockbetten, wälzten sich unruhig im Halbschlaf von einer Seite auf die andere. Das dumpfe Rumm, Rumm der schweren Flak und das hellere Bellen der Vierlingsflak zeigte an, dass die feindlichen Geschwader das Stadtgebiet erreicht hatten. Das Gemurmel im Keller verstummte, als das tiefe Brummen der Bomber wie die Bässe in einem Konzert einsetzte und trotz des wütenden Feuers der Flugabwehr deutlich zu hören war. Erste entferntere Einschläge und Explosionen ertönten, kamen näher, einige duckten sich oder hielten die Arme über den Kopf, Kinder drängten sich zitternd an die Eltern. Eine Mutter nahm ein wimmerndes Kleinkind aus dem Bett, drückte es an sich. Die junge Frau schmiegte den Kopf an die Brust des Soldaten, er legte seine verschränkten Hände wie ein kleines Dach schützend auf ihr Haar. Alle Gesichter wirkten grau, Angst schweißte die Hausbewohner zusammen. Nach langen Minuten ertönte die Entwarnung, sie waren davongekommen, die Notgemeinschaft zerfiel.
Die Berliner Zeit hatte Fritz Jahre später im Tagebuch festgehalten, ohne mit Sicherheit angeben zu können, was eigene und was fremde Erinnerungen waren. Er konnte nicht ahnen, dass ihn, als er schon in der Mitte des Lebens stand, das Sirenengeheul und das Brummen der Bomber bis in den Schlaf verfolgen würden. Und erst als er selbst Kinder hatte, verstand er die durch nichts zu erschütternde Loyalität des Vaters gegenüber dem Unternehmer, der die Flucht der Familie aus der Bombenhölle ermöglicht hat. Wochen nach ihrer Übersiedlung nach Österreich hatte eine Bombe das Haus schräg gegenüber getroffen, Mutters beste Freundin und ihr Baby waren umgekommen.
Zu den angenehmen Erinnerungen an Berlin gehörte, wenn Vater den schwarzen Koffer vom Schrank geholt, behutsam die Gitarre herausgenommen, gespielt und mit dem Fuß auf dem selbst gebastelten Fußschemel den Takt geklopft hat. Der kleine Jung, wie ihn Vater nannte, wenn er zärtlich war, saß still auf dem Fußboden und hörte zu. Vater blieb nicht verborgen, wie sehr der Kleine Musik mochte, ließ ihn manchmal die Saiten zupfen.
„Aber sachte, ganz sachte“, ermahnte er. 
Die Erfahrungen der Bombennächte im Luftschutzkeller hatten das Fundament für die Ängstlichkeit des Jungen gelegt und als er an der Hand der Mutter am zerbombten Haus der Großeltern vorbeikam, kroch die Angst erneut hervor. Nach der Abreise aus Berlin hatten sie in der riesigen Wohnung der Großmutter im dritten Stock Unterschlupf gefunden, bis Mutter im Wohnungsamt die Wohnung in einem Stadtteil weitab vom Bahnhof und dem verzweigten Netz der Rangieranlagen, Hauptangriffsziel der Bomber, erkämpft hatte. Erst als Fritz bereits studierte, hat ihm die älteste Schwester erzählt, dass die Vormieter Stern geheißen hatten und das Amt die große helle Wohnung unvermutet frei gegeben hatte. Die Beamten seien froh gewesen, die hartnäckige Frau mit den fünf Kindern los zu sein, hatte sie stolz hinzugefügt. Mutter spürte das Zittern des Buben, zog ihn schnell an der bis auf die Außenmauern ausgebrannten Front vorbei um die Ecke des Nachbarhauses, das nicht viel abbekommen hatte. Sie starrten auf die Rückfront ihres Hauses mit den unheimlichen schwarzen Fensterhöhlen. Mutter deutete zu den verkohlten, in die Luft ragenden Balkenstümpfen der Loggia hinauf.
„Dort hast du, wenn es warm war, Bauklötze aufgetürmt.“ Sie ging weiter, ihre Stimme klang verbittert. „Der einzige Platz in der Riesenwohnung, wo du deine Türme eine Weile stehen lassen konntest.“ Dann murmelte sie, Fritz verstand es kaum: „Nun hat sie auch nichts mehr davon, die Großmutter …“
Während die Erinnerungen an Berlin naturgemäß lückenhaft waren, hatte Fritz alles, was mit Franzl zu tun hatte, penibel im Tagebuch festgehalten, auch dass er sich daran beteiligt hatte, mit den Kumpeln den närrischen Kerl zu hänseln. Sie hatten sich sogar ein Lied ausgedacht: „Franzl Plä, fang uns doch, Franzl Plä Plä Plä, kannst eh nicht laufen…“ Sie brüllten es, bis ihnen Franzl mit einem Knüppel, einer Schaufel oder was er sonst in die Finger bekam, nachhinkte. Er konnte nicht laufen, sein rechter Fuß war nach innen verdreht. Nach Kriegsende war Franzl wieder aufgetaucht, niemand wusste, wo er gesteckt hatte. Seine Mutter war Monate früher gekommen, hat sich von allen abgesondert, soll, so hieß es, in einem Lager in Sibirien gewesen sein.
„Muss was Grauenhaftes gewesen sein“, erklärte Kurt wichtigtuerisch. „Alle sagen es und jeder erzählt noch schrecklichere Einzelheiten.“ Kurt wusste immer, welcher Tratsch im Dorf aktuell war. „Es gibt da noch etwas, das mit Franzl zu tun hat, aber niemand will darüber reden.“
Fritz hatte ein Gespür dafür, hinter welchen Aussagen sich ein Geheimnis verbergen könnte und obwohl nichts mehr zu vermelden hatte, war er sich sicher, dass dies so eine Information war. Er nahm sich vor, der Sache sein Augenmerk zu schenken, behielt die Absicht aber für sich. Und anders als bei Kurt, dem es nur um den Tratsch an sich ging, interessierte sich Fritz für den Fall, zumal er Erwachsene über Franzl gefragt hatte und sie sich zwar viel sagende Blicke zugeworfen, aber geschwiegen hatten, was seine Neugier erst recht anheizte.
Gesehen hatte er Franzl zum ersten Mal, als er an einem glasklaren Oktobertag Kühe durchs Dorf getrieben hatte. Mürrisch hatte ihm der Knecht, der nach Stall roch und alle naslang mit den Fingern durch die verfilzten Barthaare strich, erlaubt, beim Hüten zu helfen. Meist lag er im Gras und schlief, während der Junge unentwegt herumlief, um die Herde zusammenzuhalten. Der Hirte musste einen sechsten Sinn haben, denn kaum graste eine Kuh auf der Nachbarwiese, schrie er: „Mensch, Hornochs saublöder du, pass auf, so ein verdammter Hurenbock!“
Er ließ eine ganze Kaskade von Flüchen in einem wilden Dialekt los, der Sinn blieb Fritz meist verborgen. Warfen die kirchturmhohen Holzmasten der Materialseilbahn, weit sichtbares Überbleibsel der Wehrmacht, lange Schatten, war es Zeit, das Vieh zurückzutreiben. Kalt blies der Ostwind über die abgeernteten Felder. Fritz fröstelte, hatte seine Strickjacke zu Hause lassen. Dumpf knallte der Stock des Knechts auf den Rücken einer Kuh, jedes Mal zuckte der Bub zusammen. Die Tiere liefen ein paar Schritte, fielen sogleich wieder in ihr gewohntes Dahinzockeln zurück. Das Bimmeln der Glocken, die Rufe des Knechts – „Hoi, hoi, hoi“ – und das Klappern der Hufe auf der staubigen Dorfstraße waren Geräusche, die ihm, als er längst erwachsen war, in den Sinn kamen, wenn er an einem klaren Oktobertag an die Heimat dachte.
Ein großer ungeschlachter, dennoch kindlich wirkender Mann mit kurz geschorenem Haar stand hinter dem Zaun im Obstgarten des Krämers und stierte auf die Rindviecher, die sich zwischen den Zäunen zu beiden Seiten der Straße drängten. Eigenartig klingende Lockrufe drangen aus seinem Mund und als eine Kuh zum Zaun trottete, lächelte er selig.
„Franzl, lass die Viecher in Ruh!“, schrie der Knecht. „Sonst beißen sie dich!“
Augenblicklich erlosch das Lächeln, Franzl duckte sich hinter dem Zaun. Der Hüter rief jedes Tier beim Namen, wusste, in welchen Stall es gehörte. Es dämmerte, bis alle Kühe angekettet waren. Zu Hause schimpfte die jüngere Schwester, Fritz stinke nach Kuhmist. Statt einer Antwort verschränkte er die Finger und zog daran, dass es knackste.
„Lass das, es hört sich ja grauenhaft an!“, schrie sie.
Er hatte noch einige Male Kühe auf die Weide getrieben, bis Reif auf dem Gras lag. Zu den allerschönsten Kindheitserinnerungen gehörten die Geschichten, die Onkel Leo, zweiter Ehemann der Großmutter, erzählte. Auch als Fritz längst schon flüssig las, lauschte er gern seiner warmen Stimme. Kamen die Großeltern am Wochenende zu Besuch, hatte Onkel Leo für sie ein ernstes, ein lustiges Märchen und einen Krimi ausgedacht, führte die Kinder in eine Welt, aus der sie nur widerwillig zu ihren Alltagspflichten zurückkehrten: jäten, Schularbeiten machen, aufräumen, abtrocknen. Von Onkel Leo, der seine letzten zwanzig oder dreißig Haare sorgfältig über die Glatze kämmte, war nie ein böses Wort zu hören, er war immer freundlich und brachte der Mitwelt eine schier unerschöpfliche Geduld entgegen. Im Gegensatz zu Vater fand er nichts dabei, wenn der Junge Erlebtes und Tagträume vermischte, sich seine eigene Welt zimmerte, die anders war als Schule und Dorfgemeinschaft. Onkel
Leo bestärkte ihn sogar. „Träume sind reichhaltiger und farbiger als die Wirklichkeit.“
Und er musste es ja wissen, war schließlich Arzt. Es schmerzte den Jungen, wenn Vater über die Gutmütigkeit Onkel Leos spöttelte. Mochte es tausendmal stimmen, dass es weltfremd war, nur Gutes über seine Mitmenschen zu denken, sie noch zu entschuldigen, wenn sie ihn schamlos betrogen wie der Lagerverwalter am Bahnhof, der ein Trinkgeld bekam, wenn er Onkel Leo, der müde aus dem Zug stieg, die Tasche nach Hause trug. Der Stiefgroßvater hielt dem Bahnbediensteten die Geldbörse hin und der suchte nicht das ihm zugedachte Fünfzig-Groschen- Stück heraus, sondern einen Schilling. Der Enkel wusste, dass der alte Herr im Dunkeln schlecht sah, aber petzen, nein, das machte ein Junge nicht. 
Onkel Leo schmunzelte, als Fritz erzählte, dass ihn die Kumpel auslachten, als sie herausbekamen, dass er noch Märchen las, diesen Kinderkram.
„Lass sie nur, sie wissen nicht, dass Märchen der Nährboden sind, auf dem die Fantasie am besten gedeiht. Als es noch wenige Bücher gab und kaum jemand lesen konnte, wurde alles durch Erzählen überliefert.“
Die Mutter verstand den Buben gut, hatte selbst Märchen geschrieben, zwei waren sogar im Rundfunk gebracht worden, darauf war sie stolz. Sie schenkte ihm ein gebundenes Heft.
„Vielleicht willst du ein Tagebuch führen ...“
Kurz nach dem Krieg war so ein dickes Heft ein Schatz. Sie verschwieg, dass sie es dem Schrank ihres Vaters, in dem seine ungedruckten Novellen und Romane vergilbten, ohne sein Wissen entnommen hatte. Anfangs trug Fritz alles ein, was sich ereignete, bis er erkannte, dass sich vieles wiederholte. Als Vater Schmierpapier mitbrachte, alte Wetterkarten der Luftwaffe, die unerklärlicherweise in der Fabrik gelagert waren, schnitt er die steifen Blätter mit dem Brotmesser zurecht, notierte Stichworte, hielt nur noch Ereignisse für würdig, ins Tagebuch übernommen zu werden, die über den Tag hinausreichten. Manchmal schrieb er Wochen nichts ein. Erst viel später begann er, Erlebnisse aus dem Gedächtnis niederzulegen, schrieb sich in die Kindheit zurück und je tiefer er eintauchte, desto besser verstand er, warum er war, wie er war. Von der Wohnung in der Landeshauptstadt und vom Kindergarten – er ist mehrmals fortgelaufen, bis es Mutter aufgegeben hat, ihn hinzubringen – sowie vom ersten halben Jahr in der Schule war vieles bereits verblasst und die Gegenwart viel aufregender. Dagegen war fest im Gedächtnis verankert, wie er im Sandkasten einem Jungen im Jähzorn eine Fahrradpumpe ins Gesicht geschleudert hatte und der Spielkamerad fast ein Auge verloren hätte. Viele Jahre später sollte er daran erinnert werden, als er längst nicht mehr an den Vorfall dachte.
Die alliierten Bomber nahmen nicht nur Bahnhöfe und Depots ins Visier, sondern auch Gleisanlagen. Da ihre Wohnung in Sichtweite des Bahnviadukts lag, beschlossen die Eltern, in ein winziges Dorf zwanzig Kilometer östlich zu ziehen, hausten zu siebt in einem Zimmer im Gasthaus. Im letzten Kriegswinter herrschte klirrende Kälte, als Vater jeden Tag zehn Kilometer zur Arbeit radelte. Der Schneepflug räumte selten, Bus fuhr keiner und zum nächsten Bahnhof war es zu weit, abgesehen davon, dass die Züge unregelmäßig fuhren. Im Zimmer war es furchtbar eng, überall hing Wäsche zum Trocknen. Auf der steilen Wiese gegenüber rutschten die Geschwister auf dem Hosenboden herunter, Möbel und sonstige Sachen waren in der Wohnung geblieben. In der kleinen Schule wurden alle Klassen in einem einzigen Raum unterrichtet. Ein halbes Jahr später zogen sie wieder um, nun in eine schöne neue Wohnung im großen Dorf, wo die Fabrik steht, in der Vater arbeitete.
Der Krieg hatte gewaltige Lücken in die Lehrerschaft gerissen, der Unterricht fand umschichtig statt, eine Woche vormittags, eine nachmittags. Mancher Pauker war als körperliches und seelisches Wrack von der Front heimgekommen, so wurden pensionierte Lehrer zurückgeholt wie der Oberlehrer mit dem gewaltigen Bauch. Böse Zungen behaupteten, er lasse, was die Schulleistungen der Bauernkinder anbetraf, für Butter oder ein Stück Speck mit sich reden. An seinem Schnurrbart erkannten die Schüler, dass es Nudelsuppe gegeben hatte, der Oberlehrer liebte Suppen mit dünnen Nudeln über alles. Erwischte er Schüler beim Schwätzen oder ohne Hausarbeit, schlug er mit dem Zeigestock auf die ausgestreckten Handflächen, das brannte höllisch. Beim Sprechen versprühte er feine Tröpfchen wie Mutters Parfumzerstäuber, Fritz war froh, nicht in der ersten Bank zu sitzen. Einmal hatte der Junge den Zerstäuber mit Wasser gefüllt und gesagt, es rieche noch ein wenig, wenn man ganz fest schüttle. Mutter hatte ihm ein wehmütiges Lächeln geschenkt.
Den Oberlehrer kümmerte es nicht, dass ihn niemand mochte, solange man ihn als Schulleiter respektierte und er seine Nudelsuppe bekam. Wie er zu der hübschen Tochter kam, war allen ein Rätsel, die Mutter hatten sie nie zu Gesicht bekommen. Mathilde ging in die gleiche Klasse, war Fritz’ erste Liebe, wusste aber nichts davon und er war zu schüchtern, es ihr zu sagen, war auch nicht der einzige Verehrer. Und so wie er Wettkämpfen aus Scheu sich zu blamieren aus dem Wege ging, hätte er sich auf keinen Konkurrenzkampf um das Mädchen mit den dunklen Augen und schulterlangen Haaren einlassen.
Nach dem Unterricht stellten sich die Schüler in Zweierreihen im Gang auf, warteten, bis der Oberlehrer rief: „Heil…“, und sie schreiend ergänzten: „… Hitler!“ Er öffnete das Tor, sie stürmten die Steintreppe hinab in die Freiheit. Bei Fliegeralarm – Fritz konnte sich nicht erinnern, dass die Sirenen je den Unterricht unterbrochen haben, als hätte die Schule mit den Bombern ein Abkommen geschlossen, zur Schulzeit keinen Angriff zu fliegen – hetzte Mutter mit den Kindern zum Felsstollen am Eingang des Tals. Obwohl sie die Strecke im Eiltempo bewältigten, brauchten sie eine halbe Stunde. Eine Behelfsbrücke aus Holz überquerte das Tal, tief unten schäumte der Bach, Fritz schaute nicht hinab, ihm wurde schwindlig. Der Mutter erging es, gestand sie später, nicht anders, ließ es sich aber nicht anmerken. Schienen führten über die Brücke, Fremdarbeiter schoben Loren mit Gestein aus dem Stollen, kippten sie auf der anderen Talseite den Abhang hinunter. Den Schienen entlang patrouillierten Soldaten mit umgehängtem Gewehr. Schaffte es Mutter nicht, den Kinderwagen mit der Jüngsten und dem Rucksack über die Schienen zu heben, half ihr ein junger Pole. Einmal steckte sie ihm Zigaretten zu, weiß Gott, wo sie diese aufgetrieben hatte, Vater war selbst leidenschaftlicher Raucher.
Ein Bewacher hat es bemerkt, riss dem armen Kerl die Packung aus der Hand, ein zweiter Soldat brüllte Mutter an, das Gewehr im Anschlag: „Wenn Sie das nochmal versuchen, kommen Sie ins KZ!“
Die Mutter zuckte zusammen, Fritz konnte sich unter ‚Ka-Zet’ nichts vorstellen, doch das seltsame kurze Wort hatte einen bedrohlichen Klang. Die Soldaten waren aus dem Norden des Reichs, sprachen wie die Familie im Nachbarhaus. Erreichten sie endlich den Stollen, der als Luftschutzraum diente, hatten die silbrig glänzenden Bomber das Tal fast überquert, der Wind zerzauste ihre Kondensstreifen. Damals konnte der Bub nicht ahnen, dass Jahre später noch sein Herz beim Brummen viermotoriger Flugzeuge schneller klopfen würde. Der Stollen war etwa vierzig Meter unterhalb des Waldbodens ins Schiefergestein getrieben worden. Im rückwärtigen Teil lagerten Ersatzteile für Messerschmitt-Jäger, wie ihm Vater lange nach dem Krieg erklärte, deshalb die strenge Bewachung. Auf die Frage, warum die Alliierten den Industrieort nie bombardiert haben, wusste er keine zufriedenstellende Antwort.
Die Erwachsenen sprachen vor den Kindern nicht darüber, dass der Krieg verloren sei, doch so ganz blieb ihnen das Geraune nicht verborgen. Die Reaktionen der Großen waren unterschiedlich: Die einen hatten Angst vor dem Ende des Krieges, die Propaganda hatte mit der schrecklichen Rache der Sieger gedroht; die anderen waren erleichtert über das absehbare Ende des Schreckens. Es hieß, die Amerikaner würden einmarschieren und Fritz buddelte mit dem Freund vor dem halb fertigen Neubau gegenüber ein Loch, das sie mit Brettern abdeckten und Erde draufschaufelten. Nun mochten die Amis kommen mit ihren Panzern. Als sie wirklich anrückten, wurde eine Ausgangssperre verhängt, Fritz guckte zwischen den Spalten der Balkonbretter durch, konnte nichts sehen, hörte nur das Brummen von Autokolonnen und das Mahlen von Panzerketten, vertraute Geräusche. Die Sieger beeindruckten ihn, als er das erste Mal welche erblickte, durch ihre Lässigkeit: GIs ließen ein Bein über den Einstieg der Lastwagen mit dem weißen Stern baumeln, fast alle kauten Gummi.
Fritz’älteste Schwester, die in Berlin beim BdM gewesen war, staunte. „Was, diese quatschenden und lachenden Männer haben unsere zackige Wehrmacht besiegt?“
Enttäuschend kurze Zeit fiel der Unterricht aus. Im Klassenzimmer fehlte lediglich das Bild des Führers, an seiner Stelle hing ein Kreuz. Der helle Fleck unter dem Kruzifix war lange zu erkennen. Beim Aufstellen in Zweierreihen nach dem Unterricht grölten sie nicht mehr „Heil Hitler!“, sondern machten ein Kreuzzeichen und riefen, sobald der Oberlehrer ein kurzes Gebet gemurmelt hatte, im Chor: „Amen!“
Die Änderungen in der Schule hielten sich also in Grenzen, zu Hause änderte sich vieles. Ihre Wohnung, die sie erst vor einem halben Jahr bezogen hatten, wurde für amerikanische Offiziere beschlagnahmt.
„Wir müssen in fünf Tagen draußen sein“, stellte Vater beim Essen fest. „Also wieder umziehen ...“
„Und weißt du schon wohin?“, fragte Mutter, als sie glaubte, die Kinder seien außer Hörweite.
Fritz hatte sich unter dem Schreibtisch versteckt. Er sah, wie Vater den Kopf schüttelte. Aber irgendwie hatten es die Eltern doch geschafft, obwohl es keine Wohnungen gab und selbst die Baracken – im Krieg Unterkunft für Fremdarbeiter – mit Flüchtlingen überbelegt waren. Die Firma überließ ihnen das Büro in der Lagerhalle, das in aller Eile hergerichtet wurde. Weder ein Lastwagen noch Benzin war aufzutreiben, so karrten sie die Möbel mit einem großen Leiterwagen der Fabrik zum Lagerhaus. Eifrig half Fritz beim Aufladen der Möbel und beim Schieben des Leiterwagens durchs Unterdorf, dreimal machten sie Tour. Lieber wäre er in der neuen Wohnung geblieben und hätte die Umgebung erkundet. Innerhalb des hohen Maschendrahtzauns standen Schuppen und überdachte Regale mit Rohren, Metallteilen und Behältern, es gab viel zu erforschen und unzählige Versteckplätze, er war zufrieden mit dem Tausch. Die Lagerhalle war unglaublich lang, er brauchte auf dem Weg am Zaun entlang von einem Ende zum anderen vier Minuten. Anfangs waren sie ganz allein, dann wurde eine Art gemauerte Baracke in der Nachbarschaft gebaut und Fritz bekam Freunde. Die Buben schlossen Wetten über die Zahl der dunkelroten gebrannten Dachziegel ab, die Schätzungen schwankten zwischen tausend und zehntausend. Ein Lagerarbeiter meinte, es seien eher Zehntausende. Gegen Abend, wenn das Lagertor versperrt war – sie hatten das Loch im Maschendrahtzaun erweitert, machten es später wieder zu, man merkte es kaum –, saßen sie hinter einem Bretterstapel und schwätzten über Gott und die Welt, ignorierten die Rufe der Mütter, hier fand sie niemand. Die rote Ziegelmauer strahlte die gespeicherte Sonnenwärme ab.
Die Ferien gingen zu Ende, Fritz freute sich auf die Schule und verdrängte, dass es bis zu den Weihnachtsferien Monate dauern würde. Der neue Lehrer hatte einen noch längeren Schnurrbart als der Oberlehrer, war aber mager, offenbar kein Nudelsuppenfreund. Im Singen gab er mit der Fiedel den Ton an, spielte Lieder vor, bestrafte Schwätzen oder falsches Singen mit einem Schlag des Bogens auf die Finger. Er schlug nicht fest, Bögen und Pferdehaare gab’s nur auf dem Schwarzmarkt. Auch der dicke Pfarrer mit den Stoppelhaaren – für Fritz war Religion etwas völlig Neues – war beim Austeilen von Kopfnüssen nicht kleinlich. Körperliche Züchtigung gehörte zur Schule wie das stumpfsinnige Wiederholen von Merksätzen im Chor.
Nach dem Unterricht liefen die Buben zum Bäcker, bettelten um Brot. Schweigend schnitt der Meister dicke Scheiben ab, reichte jedem Kind eine. Kam seine Frau und wies ihn mit schmalem Mund zurecht, jetzt sei es aber genug, schaute er sie an und schnitt weiter, als hätte sie nichts gesagt. Das warme weiche Brot schmeckte herrlich, Fritz machte kleine Bissen und kaute langsam, damit er länger hatte. Der Hauserbäcker gab jedem Kind, das bettelte. Ihm wurde kein Denkmal errichtet oder zumindest eine Tafel am Haus angebracht: ‚Hier lebte ein wahrer Christ.’
Am Anfang und Ende der durch das Dorf führenden Hauptstraße standen Zelte der Besatzungsmacht, wer rein oder raus wollte, brauchte einen Passierschein. Mutter hatte keinen, war mit zwei Kindern zum Hamstern in die Nachbardörfer unterwegs. Der Posten zeigte auf den Sportwagen, in dem Rucksack und Regenzeug lagen – der Volksempfänger hatte ein Gewitter angekündigt –, brabbelte etwas, das sich anhörte, als kaute er einen Apfel, deutete mit gekreuzten Händen an, was passieren würde, erwischte man sie. Das Englisch der Mutter beschränkte sich auf ein entschiedenes „No!“.
Der Weg zum nächsten Ort auf der anderen Talseite zog sich. Mutter hatte eine Bekannte in der Marmeladenfabrik, bei ihr erwarb sie drei Becher Kunsthonig. Zurück mussten sie einen anderen Weg nehmen, die Kontrolle hätte den Honig beschlagnahmt und Mutter bestraft. So tippelten sie auf der Nordseite den staubigen Weg heimwärts, rasteten zweimal im Schatten eines Baums. Die Wasserflasche war längst leer.
Das Zeltlager der Amis am nordwestlichen Ortsrand zog die Buben wie ein Magnet die Eisenfeilspäne an, vor allem das Küchenzelt, aus dem es herrlich duftete. Auf dem Platz vor dem Lagertor fanden sie Zigarettenkippen, Fritz sammelte wie die anderen, leerte den Tabak in eine Schachtel. Nach Wochen war sie halb voll, er stellte sie auf den Schreibtisch, wartete, bis Vater vom Dienst kam. Doch beim Abendessen, Kartoffeln mit Salz und ein Hauch Butter, verlor er kein Wort. Kaum waren sie fertig, sagte er: „Komm, wir beide haben etwas zu besprechen!“
Der Klang seiner Stimme war anders als erhofft, die ältere Schwester flüsterte: „Wieder was ausgefressen?“
Auf dem Eichenschreibtisch lag die Schachtel. „Woher hast du den Tabak?“
Fritz berichtete. Die senkrechte Falte zwischen den Augen vertiefte sich.
„Ich soll rauchen, was andere im Mund hatten und weggeworfen haben?“
Das tat weh.
„Nimm das Zeug!“
Zögernd ergriff es der Bub.
„Komm!“Vater ging zur Toilette, deutete auf das Klosettbecken. „Leere es rein!“
„Aber …“
„Schütte es rein!“, wiederholte Vater in einem Ton, der keinen Widerspruch duldete. Fritz kippte den Tabak aus. „Jetzt zieh!“
Er zog die Kette, das Wasser spülte weg, womit er dem Vater eine Freude bereiten hatte wollen. Tränen brannten in den Augen, er konnte kaum was sehen. Vater setzte sich an den Schreibtisch, machte eine Handbewegung zu den Stühlen, die um den Ausziehtisch standen.
„Du hast es gut gemeint, ich weiß.“ Nach einer Pause fügte er schwer atmend hinzu: „Aber nimm mir nicht das letzte bisschen Stolz!“
Fritz schluckte.
„Ich glaube, du hast verstanden.“ Er stand auf, strich dem Jungen über den Kopf.
Vater liebte seine Kinder, hielt aber nichts davon, die Entwicklung von Selbständigkeit zu fördern, das untergrabe die Disziplin. Ihm waren vorlaute Kinder ein Gräuel und das Ergebnis lascher Erziehung. Bei ihm hatte alles in geordneten Bahnen zu verlaufen, wenigstens zu Hause sollte Ordnung herrschen, wenn schon halb Europa in Trümmern lag und überall Chaos herrschte. „Ordnung ist das halbe Leben“, pflegte er zu predigen. Bereits dessen Vater hatte es ihm eingebläut und so sollte es weitergehen, Generation für Generation. Ob er seine Ansicht revidiert hätte, wenn er vorausgesehen hätte, wie schnell sich die Welt verändern würde? Ein Spiegelbild seines Ordnungsfimmels war der Schreibtisch mit den parallel ausgerichteten, sorgfältig mit dem Taschenmesser gespitzten Bleistiften in der Schale aus schwarzem Stein, ansonsten war die Platte bis auf Löschwiege und Briefbeschwerer leer. Regelmäßig eine Stunde vor Rückkehr Vaters vom Dienst begann das große Aufräumen. Er sprach nie von Arbeit, der Begriff Job war unbekannt, er hätte ihn ohnehin nicht benützt. Dienst war mehr als Geld verdienen, bedeutete Treuepflicht dem Dienstherrn gegenüber und Pflichtbewusstsein. Mutter stand den Kampf, der das Aufräumen jeden Tag kostete, durch, um das die Kinder ängstigende Gebrüll des müden heimkehrenden Familienoberhaupts zu vermeiden. Spielzeug, das herumlag, brachte ihn in Weißglut, alle fürchteten seinen Zorn.
Als Fritz Bruno, dem Freund aus Litauen, vom ins Klo gespülten Tabak erzählte, nickte er.
„Hätte mein Vater genau so gemacht.“
Die vor den Russen geflohene Familie wohnte in einer Baracke zwischen Fabrik und Lagerhalle. Bruno hatte die Aufnahmeprüfung ins Realgymnasium ebenfalls geschafft, ging in die gleiche Klasse. Bei den Litauern roch es nach Mottenpulver und gekochtem Kraut, manchmal bekam Fritz einen Teller Krautsuppe. Zweimal im Jahr wurden die Baracken ausgegast, vorher wurden Fenster und Türen mit Klebestreifen abgedichtet, an den Türen klebten Zettel: ’Achtung Gift! Wanzenbekämpfung.’ Hinterher roch es tagelang scharf und süßlich.
Brunos Eltern schickten ihren Ältesten in die Dörfer der Umgebung zum Betteln um Milch. „Willst du nicht mitgehen?“, fragte Brunos Mutter den Freund.
Das Nachbardorf war drei Kilometer entfernt, das nächste zwei weitere und rechnete man die Wege zu den abgelegenen Höfen hinzu, tippelten die beiden zwei- oder dreimal pro Woche zehn bis zwölf Kilometer. Fritz, der im Geschäft wartete, bis man ihn fragte, was er wolle, beim Friseur andere vorließ, weil er zu schüchtern war, zu sagen, jetzt sei er an der Reihe, scheute sich, zu klopfen und zu bitten: „Können Sie uns bitte ein bisschen Milch geben?“ Ließ er aber Bruno fragen, schöpfte die Bäuerin ihm in die Kanne und er ging leer aus. Der Gedanke an die traurigen Augen der Mutter spornte ihn an, seine Befangenheit zu überwinden.
Bruno und Fritz, die nicht selten miteinander rauften, wobei Fritz regelmäßig den Kürzeren zog, waren sich in dem Punkt einig, dass die Bauern mit den meisten Kühen die größten Geizhälse waren. Ein Großbauer öffnete nach mehrmaligem Klopfen, brummte unwirsch: „Mir ham selber nix!“, und schlug ihnen die Tür vor der Nase zu. Durch das Fenster hatten sie beobachtet, dass vor Bauersleuten und Gesinde zwei Schüsseln mit Knödeln standen, ein riesiger Brotlaib auf dem Tisch lag, ein Klumpen Butter auf einem Teller. Offenbar hatten die bettelnden Jungen beim Tischgebet gestört. Die kleinen Bauern gaben immer was, auch der Bäcker im Ort spendierte eine Scheibe Brot, das sie heißhungrig verschlangen, während sie die Milch nach Hause trugen.
Fritz war zu müde, um Hausaufgaben zu machen, für Bruno gab’s kein Entrinnen: Im einzigen Wohnraum mit dem eisernen Bullerofen in der Mitte hielten sich Mutter, Großmutter, der Onkel mit Monokel und Spazierstock, den ein elfenbeinerner Knauf zierte, sowie der kleinere Bruder auf. Brachte Bruno eine Fünf nach Hause, setzte es Prügel. Sein Vater, Tischler in der Fabrik, war ein ruhiger Mann, schrie nie, schlug nie Türen zu, Fritz merkte ihm nicht an, wenn er zornig war. Hatten Bruno und sein Bruder Rimkus etwas angestellt, stellte er kurze Fragen, die Fritz ebenso wenig verstand wie die Antwort, verabreichte beiden eine Ohrfeige, dass sie gegen die Wand taumelten. Der Besucher wusste nicht, wohin schauen, es war ihm peinlich, Zeuge der Strafaktion zu sein.
Es war Spätherbst und kalt geworden, Bruno und Fritz nahmen nach der Betteltour die Abkürzung über die Felder. Schwarze Wolken verdunkelten den Himmel, heftiges Schneetreiben setzte ein, sie konnten keine fünf Schritte weit sehen. Erschöpft duckten sie sich unter einen Busch. Bruno, ein Jahr älter und robuster, murmelte: „Wir erfrieren, wenn wir bleiben. Du wartest hier, ich hole Hilfe.“
Fritz wollte nicht allein bleiben, fürchtete, selbst wenn Bruno durchkam, würde man ihn nicht finden. Er rappelte sich auf. „Ich gehe mit.“
„Du bist zu langsam, das schaffen wir nie.“
„Ich kann so schnell laufen wie du!“ Angst mobilisierte seine letzten Kräfte und als endlich im Wirbel der Flocken die Umrisse der Lagerhalle auftauchten, kam es ihnen wie ein Wunder vor.
Fritz’ Vater hatte den Litauern vorgeschlagen, einen Suchtrupp zu organisieren. Brunos Vater hatte ihn beruhigt: „Der Junge ist zäh, hat schon andere Dinge überstanden!“
Diesmal wurde Bruno nicht bestraft. Im Frühsommer wanderte die Familie nach Amerika aus, der glatzköpfige Englischlehrer schenkte ihm eine Drei. Das fand Fritz nicht gerecht, er musste hier bleiben und ihm schenkte der Glatzkopf nichts.
Föhn stürmte von den Bergen, die Temperatur schnellte nach oben, die Leute waren gereizt. Zu fünft liefen sie zur Krähenhütte am Rand eines kleinen mit Schilf bestandenen Sumpfes. Der Wind heulte um die Hütte, sie zogen die Tür zu. Kurt erklärte, die Jäger schießen aus den schmalen Luken auf Krähen, die in den kahlen Bäumen hocken. Die Jungen saßen auf der Bank an der Wand, unter ihnen war ein Malergeselle. Plötzlich hatten drei ihr bestes Stück in der Hand und begannen um die Wette zu masturbieren. Der viel ältere Geselle machte mit, hatte den größten Penis. Fritz als Spätzünder war das unangenehm, er wusste nicht, wo hinsehen, ging vor die Hütte.
Die Zeit der Märchenbücher war vorbei, Karl May, Wildwesthefte und Romane waren an der Reihe, manchmal ging ein Buch mit schlüpfrigen Bildern reihum. Bald las Fritz, was ihm unter die Finger kam, nur Gedichte mochte er nicht, das strenge Versmaß ließ wenig Raum für die Fantasie. Er las im Bett, im Zug und im Schwimmbad, lesen wurde zur Leidenschaft. Für sein Alter wusste er eine Menge, aber es war unsystematisch angelesenes Wissen, dem eine solide Grundlage fehlte. Kostbarkeiten lagerten neben Gerümpel, es war ein wildes Durcheinander, das darauf wartete, geordnet, ergänzt oder aussortiert zu werden.